Initiative zum Schutz vor Pädophilen schiesst am Ziel vorbei

Do., 17.04.2014 - 12:36

“Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen.” Über diese Volksinitiative stimmen wir am 18. Mai ab.

Das Ziel der Initiative ist einfach und einleuchtend. Eine Ja-Stimme in die Urne zu werfen scheint das Naheliegendste. Kein Kind und kein Jugendlicher soll in seiner körperlichen oder sexuellen Integrität verletzt werden. Sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ein hochemotionales Thema, das niemanden unberührt lässt. 

Wir von Kinderanwaltschaft Schweiz haben die Initiative fachlich geprüft und empfehlen sie aus den folgenden Gründen zur Ablehnung:

  • Die Initiative ist nicht umsetzbar. Sie sieht für verurteilte Pädosexuelle ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit Kindern und Jugendlichen vor – ausnahmslos und ungeachtet der Umstände. Dies widerspricht einem der grundlegendsten Prinzipien unseres Rechtsstaates: dem Prinzip der Verhältnismässigkeit.
  • Die Verletzung der Verhältnismässigkeit hat zur Folge, dass beispielsweise ein 19-Jähriger, der sexuellen Kontakt mit einer 15-Jährigen hat, gleich behandelt wird wie der Vergewaltiger eines Kleinkindes.
  • Die Initiative bietet für den objektiv gefährlichsten Ort für Kinder – den Familien- und Privatbereich – keinen Schutz.
  • Die Initiative ist zudem unnötig. Das Parlament hat 2013 bereits ein Bundesgesetz über ein Tätigkeitsverbot sowie zusätzlich ein Kontakt- und Rayonverbot für verurteilte Straftäter verabschiedet. Das Gesetz tritt in jedem Fall und unabhängig vom Ausgang der Abstimmung im Januar 2015 in Kraft. Dieser Vorschlag vom Parlament geht weiter als die Initiative. Es schützt die Kinder nicht nur vor sexueller, sondern auch vor physischer Gewalt. Jedoch wahrt das Gesetz dank der Prüfung der Umstände das Prinzip der Verhältnismässigkeit.  

Aus diesen Gründen lehnt Kinderanwaltschaft Schweiz die Initiative ab.

Generell bedauern wir es, dass sowohl die Initiative, als auch das neue Gesetz erst an einem Punkt ansetzen, an dem es bereits Opfer gibt. Unser Anliegen ist es, dass Kinder und Jugendliche vor Verletzungen ihrer geistigen, körperlichen und sexuellen Integrität geschützt werden.  

Dieser Schutz wird am effizientesten mit der Umsetzung eines kindgerechten Rechtsstaates erreicht. Gegenwärtig findet das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf Kinder nur ungenügende Anwendung. Konkrete Lösungen für dieses Ungleichgewicht bieten die Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz.

Für deren Umsetzung in der Schweiz bis ins Jahr 2020 machen wir uns stark. Um dieses Ziel erreichen zu können, brauchen wir das Engagement von Politikerinnen und Politikern, von Fachkräften, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, und generell von Menschen, die sich für einen umfassenden Kindesschutz einsetzen wollen. Unsere Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf einen Staat, der alles daran setzt, dass sie als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft unbeschwert und unversehrt aufwachsen können. Ihre Rechte müssen jederzeit vollumfänglich geschützt werden.  

Irène Inderbitzin
Geschäftsführerin
Kinderanwaltschaft Schweiz