Seit der Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes (KESR) im Jahr 2013 stehen die neu geschaffenen Behörden, die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB), im gesellschaftlichen und politischen Kreuzfeuer. Auch wir, die Kinderanwaltschaft Schweiz, werden immer wieder nach unserer Meinung zur KESB gefragt. Die Antwort formulieren wir in diesem Beitrag – alle Einschätzungen dabei beruhen auf Erfahrungswerten aus der Beratung von Kindern und Jugendlichen und aus Kontakten mit Behörden.
Kinderanwaltschaft Schweiz hat die Vision, dass bis zum Jahr 2020 alle Kinder ein kindgerechtes Rechtssystem erfahren, welches Kinder mit Würde, Achtung, Sorgfalt und Fairness behandelt. Ein kindgerechtes Rechtssystem garantiert, dass Kindern zugehört wird, dass ihre Ansichten ernst genommen werden und stellt damit sicher, dass die Interessen derjenigen geschützt werden, die sich nicht äussern können. Dadurch, dass Kinder an Entscheidungen, die ihr weiteres Leben betreffen, aktiv mitwirken können, erfahren sie Selbstwirksamkeit, lernen Eigenverantwortung zu übernehmen und werden dadurch in ihrer Resilienz (Widerstandsfähigkeit) gestärkt.
Wir sind der Überzeugung, dass die KESB eine grosse Chance für die Umsetzung eines kindgerechten Rechtssystems mit einheitlichen Standards für die Schweiz darstellen. Dabei haben wir auch Erwartungen an das neue KESR und an die KESB.
Kindgerechtes Rechtssystem
Weshalb dies wichtig ist: Kinder und Jugendliche laufen heute immer noch Gefahr, im Räderwerk des Rechtssystems – in dessen Abläufen, Sprachgebrauch und Handlungen – übersehen zu werden sowie fremdbestimmt und sprachlos zu sein. Die erlebte Ohnmacht und Hilflosigkeit bedeuten für diese Kinder allzu oft eine (Re-)Traumatisierung. Ein kindgerechtes Rechtssystem ist deshalb dringend notwendig, da positive Erfahrungen im Rechtssystem Vertrauen in den Rechtsstaat fördern und das Kind dadurch in seiner Resilienz – der Fähigkeit, eine schwierige Lebenssituation ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen – gestärkt wird. Forschungen zur Resilienz zeigen, dass es insbesondere für Kinder, die unter hohen psychischen Belastungen stehen, von entscheidender Bedeutung ist, den eigenen Lebensalltag mitgestalten zu können.
Die Rechte auf Information, Vertretung, Partizipation und Schutz sind die Eckpfeiler eines kindgerechten Rechtssystem und werden in den Leitlinien des Europarates für ein kindgerechtes Justizsystem (Child-friendly Justice Leitlinien) statuiert. Diese Leitlinien dienen als praxisorientiertes Hilfsmittel für die Umsetzung und Förderung kindgerechter Standards. Sie machen Kinderrechte kindgerecht – das ist das Ziel von Child-friendly Justice!
Wir setzen uns für die vollständige Integration genannter Leitlinien in der Schweiz bis zum Jahr 2020 ein. Kinder, die sich in problematischen Situationen befinden und mit den Behörden in Kontakt kommen, erhalten damit die Möglichkeit, sich dank entsprechender Massnahmen – trotz schwieriger Situationen – zu eigenverantwortlichen und starken jungen Menschen zu entwickeln.
Die Bedeutung für die KESB: Die bei der Ausgestaltung des KESR starke Gewichtung der Subsidiarität bedeutet, dass eine behördliche Massnahme nur dann angeordnet werden darf, wenn die Unterstützung der hilfsbedürftigen Person durch die Familie nicht ausreicht. Dieser Grundsatz kommt einem kindgerechten Rechtssystem entgegen. Der Leitgedanke der Revision war das “Wohl des Schwachen” und wie Christoph Häfeli im jusletter erläutert, steht dieser in engem Zusammenhang mit der Menschenwürde. Die Ausgestaltung der KESB als professionelle und interdisziplinäre Fachbehörde basiert auf diesen Überlegungen.
Die KESB sorgt für eine fachlich fundierte Anwendung des neuen Rechts und ist mit entsprechend ausgebildeten Mitarbeitenden besetzt: Jurist/innen, Psycholog/innen, Sozialarbeiter/innen oder Ärztinnen und Ärzte arbeiten zusammen und entscheiden meistens in Dreier-Besetzung. Die Fachbehörde hat die Aufgabe, Machtmissbrauch und Willkür auszuschliessen und die Verhältnismässigkeit sicherzustellen – alles Aspekte, die auch den Leitlinien für eine kindgerechte Justiz entsprechen, gemäss denen Kinder Rechtssubjekte sind und nicht mehr als "Objekte" verstanden werden, über die bestimmt wird. Die KESB unterstützen so das Recht des Kindes auf Information, Vertretung, Partizipation und Schutz.
Kindgerechte Anhörung
Weshalb dies wichtig ist: Dadurch, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Meinung ernst genommen werden, sie Selbstwirksamkeit erfahren und Lösungsprozesse aktiv mitgestalten können, werden sie zu Akteuren in ihrem Leben und stehen nicht länger ohnmächtig am Rand des Geschehens. Diese Erfahrungen beeinflussen die weiteren Lebenswege der Betroffenen auf eine positive Art und Weise. Erfolgreich verlaufen kindgerechte Anhörungen dann, wenn Kinder eigens dafür geschulten Behördenmitgliedern, die darüberhinaus als Entscheidungsträger/innen fungieren, ihre Befürchtungen und Wünsche mitteilen können. Anhörungen sollten nur in Ausnahmefällen an Kinderpsycholog/innen delegiert werden. Eine erfolgreiche Anhörung ermöglicht Kindern höhere Kooperationsmöglichkeiten – dies ist aus dem Grunde wichtig, dass letztlich die Kinder mit dem Entscheid leben müssen und nicht die Behörden.
Oftmals wird die Kritik geäussert, dass bei den KESB die lokale Nähe fehle. Doch gerade durch eine Anhörung wird eine KESB für ein Kind greifbar und persönlich, statt anonym und damit beängstigend zu bleiben.
Die Bedeutung für die KESB: Alle Entscheidungsträger/innen sollten verinnerlicht haben, dass der Kindeswille ein fester Bestandteil des Kindeswohls ist. Damit Anhörungen von Kindern und Jugendlichen erfolgreich verlaufen, braucht es kontinuierliche Fort- und Weiterbildungen der Entscheidungsträger/innen, insbesondere in den Bereichen Kinderentwicklungspsychologie, Gesprächsführung und im Erlernen von Ermittlung und Umgang mit dem Kindeswillen. Damit kann sichergestellt werden, dass Anhörungen nur in seltenen Fällen delegiert werden müssen. Ebenfalls gilt es zu beachten, dass auch die Räumlichkeiten kindgerecht gestaltet sind. Insbesondere die Bereitstellung von Materialien und Gegenständen können dem Kind helfen sich selbst besser auszudrücken.
Die Partizipation des Kindes ab einem Alter von 6 Jahren wird durch die KESB sichergestellt, indem sie dessen Perspektive aktiv und kontinuierlich im Entscheidungsfindungsprozess mitberücksichtigen. Jedem Kind steht das Recht auf Gehör und Meinungsäusserung zu – dieses darf ihm weder von den Eltern noch den Behörden verwehrt werden. Es bedarf einer kindgerechten Einladung zu einer Anhörung und die Eltern sollen darüber aufgeklärt werden, welche Rechte die Kinder haben. Dass es diesbezüglich in der Schweiz noch viel Handlungsbedarf gibt, zeigt das Postulat der Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach. Sie zitiert darin den aktuellen Bericht der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen, der deutlich macht, dass das Recht auf Anhörung, insbesondere in gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Verfahren, bislang ungenügend umgesetzt wird. Zu derselben Ansicht gelangte auch der UN-Ausschuss für die Kinderrechte vom 4. Februar 2015 – wir haben darüber gebloggt. Die Schweiz soll Massnahmen treffen, um das Recht auf Meinungsäusserung und auf Gehör (Art. 12 KRK) sicherzustellen. Dieses Recht steht jedem Kind zu, das in ein Verfahren involviert ist und dessen dabei vorgebrachte Meinung muss bei einer Entscheidung miteinbezogen werden.
Einsetzung einer Rechtsvertretung
Weshalb dies wichtig ist: Kinderanwält*innen vertreten Kinder und Jugendliche in Verfahren vor Gerichten und Behörden. Es ist ihre Aufgabe, die Interessen und den Willen der ihnen Anvertrauten zu kennen sowie deren Rechte im Verfahren zu wahren. Konkret verfolgen die Kinderanwält*innen diese Ziele, indem sie die Anliegen der Kinder und Jugendlichen in die Verfahren einbringen und darauf achten, dass diese dort von den Behörden und Gerichten wahrgenommen werden. Bei ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt der Fokus einerseits auf deren Aufklärung bezüglich ihrer Rechte und des Ablaufs des Verfahrens und andererseits darin, deren Anliegen aufzunehmen und eine professionelle Einschätzung über die Möglichkeiten und Grenzen der Erreichbarkeit dieser Anliegen aufzuzeigen. Wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist es zudem, mit den Kindern und Jugendlichen realistisch über mögliche Lösungen und Ausgänge ihrer jeweiligen Situation zu sprechen und ihnen dabei zu helfen, diese schwierige Lebenssituation emotional gestärkt zu meistern. Kinderanwaltschaft Schweiz setzt sich für einheitliche Standards bei der Rechtsvertretung von Kindern ein.
Die Bedeutung für die KESB: Wir sehen es als eine wichtige Aufgabe der KESB an, rechtzeitig für den Einsatz einer qualifizierten Rechtsvertretung für Kinder und Jugendliche zu sorgen. Die Kinder fühlen sich dadurch sicherer, besser verstanden und informiert. Weil der Meinungsbildungsprozess des Kindes bereits mit der Rechtsvertretung stattgefunden hat, ist es dem Kind möglich, in der Anhörung eine differenziertere, mutigere und klarere Aussage zu machen – ein klarer Vorteil für das Verfahren.
Die KESB sollten dafür sorgen, dass qualifizierte Rechtsvertretungen eingesetzt werden. Qualifiziert sind Rechtsvertretungen dann, wenn sie unabhängig sind, sich in Kinderentwicklungspsychologie, in der Gesprächsführung mit Kindern und in den Kinderrechten weitergebildet haben und ihre Rolle als Partei des Kindes verstehen.
Rechtsvertretungen sollten immer dann eingesetzt werden, wenn es um wichtige Entscheide im Leben eines Kindes geht oder wenn dessen Eltern seine Interessen nicht nicht wahrnehmen können. Die frühzeitige Einsetzung einer Rechtsvertretung kann gegebenenfalls eine Eskalation verhindern. Rechtsvertretungen entsprechen, wie bereits in der Einleitung erwähnt, dem Prinzip der Subsidiarität behördlicher Massnahmen. Dieses Prinzip findet im KESR ausdrückliche Erwähnung und hat zum Zweck, die Familiensolidarität zu stärken.
Information und Beratung
Weshalb dies wichtig ist: Damit Kinder und Jugendliche aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen können, müssen sie altersgerecht über ihre Rechte sowie über den Ablauf und die Ergebnisse des Verfahrens informiert werden.
Die Bedeutung für die KESB: Die KESB ist als Fachbehörde aufgestellt mit gut ausgebildeten Fachleuten, welche über die notwendigen Kompetenzen bereits verfügen oder sich diese in Weiterbildungen aneignen. Wir erachten es als wichtig, dass für Kinder und Jugendliche kindgerechte Hilfsmittel, beispielsweise die Anhörungsbroschüre der UNICEF, zur Verfügung gestellt werden. Ebenfalls sollten gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Entscheide persönlich und wenn nötig mithilfe von Spezialist/innen den Kindern und Jugendlichen kommuniziert werden.
Multidisziplinarität
Weshalb dies wichtig ist: Die oft weitreichenden Entscheidungen werden von den KESB multidisziplinär durch drei Personen gefällt, wobei die Perspektiven der Disziplinen Recht, Psychologie, Medizin und Sozialarbeit mit einfliessen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine 360°-Sicht anstelle einer rein juristischen. Beschlüsse können damit reflektierter gefasst werden und die Ansichten der Kinder finden dabei eher Berücksichtigung, was – zusammen mit dem deutlich verbesserten Schutz ihrer Privatsphäre – eine Verbesserung gegenüber dem alten System darstellt. Der Gesetzgeber hat deshalb bei der Ausgestaltung der KESB viel Wert auf diesen Aspekt gelegt. Der Multidisziplinarität wird auch in den Leitlinien grosse Wichtigkeit beigemessen.
Die Bedeutung für die KESB: Derzeit ist die gelebte Praxis noch zu “juristenlastig”. Die KESB sind sich dessen bewusst und die Problematik wurde an der der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES-Tagung 2014) thematisiert. Die Formierung einer multidisziplinären Zusammenarbeit und die Definition de Prozesse der Entscheidungsfindung benötigen Zeit und Erfahrung. Ein diesbezüglich wichtiger Ansatz ist die Fort- und Weiterbildung von Behördenmitgliedern – insbesondere diejenigen in den Bereichen multidisziplinäre Zusammenarbeit und Konfliktmanagement.
Angemessene Dauer des Verfahrens
Weshalb dies wichtig ist: Die Dauer eines Verfahrens ist ein wichtiges Kriterium des kindgerechten Rechtssystems. Die Situation des Kindes darf durch die Verfahrensdauer nicht erschwert werden. Ein Verfahren sollte in einer dem Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen angemessenen Form ablaufen und ihnen erlauben, die einzelnen Schritte kognitiv, kommunikativ und emotional verstehen zu können.
Die Bedeutung für die KESB: Der möglichst rasche Vollzug eines Verfahrens ist grundsätzlich zu befürworten – dies aus dem Grund, dass dadurch Kinder nicht lange in einem unsicheren Status ausharren müssen. Es gibt jedoch durchaus auch Situationen, in denen ein Verfahren bevorzugt langsam ablaufen sollte. Dieser Fall ist dann gegeben, wenn er dem Wohl des Kindes dient. Grundsätzlich muss gewährleistet sein, dass die Dauer des Verfahrens der Lebenssituation des Kindes entspricht und verhältnismässig ist.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Optimierung der Schnittstellen und Prozesse zwischen den KESB und den Gemeinden sowie allen weiteren relevanten Institutionen. Die Dauer von Verfahren ist heute von unterschiedlichen Faktoren abhängig – welche dieses oftmals in die Länge ziehen – und nur selten vom Kind. Auch Kinderanwält*innen setzen sich dafür ein, dass die Verfahrensdauer an die Interessen der Kinder und Jugendlichen angepasst wird.
Ombudsstelle
Weshalb dies wichtig ist: Eine unabhängige Ombudsstelle dient dem Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit sowie der Sicherstellung der Kinderrechte in der Schweiz. Kinder sollen das Recht auf Zugang zu angemessenen und wirksamen Beschwerdemechanismen haben. Das ordnungsgemässe Verfahren garantiert Kindern:
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Grundsätze der Gesetzmässigkeit und Verhältnismässigkeit
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Recht auf ein faires Verfahren
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Rechtsberatung
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Zugang zu den Gerichten
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Recht auf Rechtsvertretung
Diese Garantien gelten für alle gerichtlichen, aussergerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Verfahren.
Die Einsetzung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz basiert auf der Empfehlung General Comment No 5 von 2003 der UN-Kinderrechtskonvention. Derzeit ist eine Motion von der Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach im Nationalrat pendent, welche die Schaffung einer Ombudsstelle verlangt. Das folgende Beispiel zeigt den diesbezüglichen akuten Handlungsbedarf auf: Ein nicht urteilsfähiges Kind ohne Eltern oder mit Eltern, denen das Sorgerecht entzogen wurde, kommt mit einer Behörde oder dem Gericht in Kontakt. Dabei kommt es zu einem Entscheid ohne Einsetzung einer Rechtsvertretung. Ist das Kind mit diesem Entscheid nicht einverstanden, müsste eine Beschwerde eingereicht werden. Im Falle eines nicht urteilsfähigen Kindes gibt es jedoch keine vertretungsberechtigte Person, die aktiv werden kann. Derzeit befinden sich diese nicht urteilsfähigen Kinder also in einem rechtlosen Raum. Die Lösung ist naheliegend und einfach: Eine entsprechende Rechtsgrundlage muss dafür sorgen, dass nicht urteilsfähige Kinder immer eine Rechtsvertretung erhalten. Überdies braucht es eine Ombudsstelle, die im Namen des Kindes tätig werden kann. Wir unterstützen daher die Motion von Christine Bulliard-Marbach.
Die Bedeutung für die KESB: Eine Ombudsstelle dient den KESB einerseits zur Sicherstellung ihres eigenen Qualitätsmanagements und führt andererseits zu ihrer Entlastung. Verläuft ein Verfahren gemäss den Standards der Leitlinien einer kindgerechten Justiz, benötigt es keine Handlungen durch die Ombudsstelle. Kommt es hingegen zu Fehlern, kann sich das Kind bei der Ombudsstelle melden und die nötigen Schritte veranlassen. In der Folge werden die Entscheide breiter abgestützt, was, wie erwähnt, sowohl die Qualität der Entscheide stützt, als auch die KESB entlasten. Eine Ombudsstelle verhindert, dass Kinder und Jugendliche sich in einem rechtlosen Raum befinden (siehe Abschnitt oben).
Innovatives Finanzierungsmodell für den Kindesschutz
Weshalb ist dies wichtig: Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen ist es zentral, dass sich das jeweilige kantonale Finanzierungsmodell nicht negativ auf ihr Wohl auswirkt. Massnahmen und Handlungen sowie der Entscheid zur Einsetzung einer Rechtsvertretung müssen auf der Grundlage des Kindeswohls und somit unter Berücksichtigung der Kinderrechte und des Kindeswille beschlossen werden. Insbesondere die Einsetzung einer Rechtsvertretung kann verhindern, dass aufgrund von Kostendruck Massnahmen gegen den Willen des Kindes angeordnet werden, wie beispielsweise die Umplatzierung in ein billigeres Heim oder eine Rückplatzierung in die Familie, obwohl sich die Familiensituation noch nicht verbessert hat. Ein wichtiger Resilienzfaktor für Kinder sind stabile Beziehungen zu Bezugspersonen – diese können durch verfehlte Massnahmen abgebrochen werden.
Die Bedeutung für die KESB: Generell muss ein innovatives Finanzierungsmodell in den Kantonen etabliert werden, das die viel diskutierte Problematik der Kostenübernahme endgültig regelt. Die derzeit unterschiedlichen Modelle führen heute zu Ungleichheiten in der Anwendung des Kindesschutzes. Dies darf nicht sein. Weder die günstigste noch die teuerste Massnahme hilft dem Kind – nur die kindeswohlorientierte Massnahme ist für es der beste Schutz und für die Gesellschaft nachhaltig am kostensparendsten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Eine grosse Chance für Kinder
Kinderanwaltschaft Schweiz ist sich bewusst, dass die KESB heute noch nicht ihr gesamtes Potenzial entwickelt haben. Wir haben Verständnis für enttäuschte Erwartungen von Betroffenen – auch wir erhalten immer wieder Anrufe von Kindern und Jugendlichen und sind mit der Problematik der aktuellen Situation bestens vertraut. Dennoch – oder gerade deswegen – sind wir der Überzeugung, dass mit dem neuen KESR die richtige Fahrtrichtung eingeschlagen wurde und die KESB die richtigen Institutionen dafür sind, ein kindgerechtes Rechtssystem in der Schweiz zu verwirklichen.
Wir wünschen uns von der Gesellschaft Sachlichkeit in der Diskussion um die weitere Ausgestaltung der KESB und Verständnis für die Mitarbeitenden der KESB. Diese sind damit beschäftigt, tausende vor 2013 beschlossene Massnahmen dem neuen Recht anzupassen. Über 125’000 Dossiers wurden 2013 von den Vormundschaftsbehörden übernommen.
Grundsätzlich gibt es fast immer Konflikte, wenn Behörden einem Menschen das Recht auf Selbstbestimmung absprechen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass schwerwiegende Entscheide breit und multidisziplinär abgestützt sind, wie dies gemäss neuem KESR der Fall ist. In ein paar Jahren wird das KESR seine heutigen (Anfangs-)Schwierigkeiten überwunden und voll etabliert haben. Kinderanwaltschaft Schweiz ist zuversichtlich, dass die KESB – eine lernende Organisation – die an sie gestellten Herausforderungen meistert. Wir werden weiterhin mit voller Energie auf die Umsetzung eines kindgerechten Rechtssystems in der Schweiz hinarbeiten und uns damit für alle betroffenen Kinder und Jugendlichen einsetzen. Wir begrüssen und freuen uns über die konstruktive Zusammenarbeit mit allen Organisationen und Institutionen, die dasselbe Ziel verfolgen.
Christina Weber Khan
Leiterin Behörden & Gerichte
Kinderanwaltschaft Schweiz